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Ehrwald, 13.07.2008 Notarzteinsatz statt Berglauf

http://www.hobbylauf.de/berichte/poeschl/hans.htm
Es sollte für fast 600 Läuferinnen und Läufer eine besondere Herausforderung werden – die achte Auflage des Zugspitz
-Extremberglaufes endete in einer Katastrophe. 2 Läufer starben am Hand vom Deutschlands höchsten Berg, sechs weitere mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Der Ansbacher Bergläufer Paul Sichermann, frischgebackener Senioren-Europameister, hatte sich auch vorgenommen,
einmal im Leben Deutschlands höchsten Gipfel zu erlaufen. Auf 16,1 Kilometern waren von Ehrwald aus 2100 Höhenmeter
zu bezwingen. Bei schlechten Witterungsbedingungen behält sich der Veranstalter vor, das Ziel an das 1,3 Kilometer nähere
und 400 Höhenmeter tiefer gelegene Gletscherrestaurant SonnAlpin zu verlegen. So wurde es bei den vergangenen
Auflagen schon mehrmals praktiziert, auch im Vorjahr, als Nieselregen den Schlussaufstieg zu gefährlich machte. Desto
erstaunter zeigten sich die Teilnehmer, als in Ehrwald trotz der in Süddeutschland sehr unbeständigen Wetterlage verkündet
wurde: „Das Ziel ist heuer auf dem Gipfel“. Im Vorjahr hätten sich Läufer darüber beschwert, dass es nur bis zum SonnAlpin
ging. Temperaturen um 3 Grad bei Windstille wurden vom Gipfel vermeldet – die Läufer passten sich bezüglich ihrer
Bekleidung diesen idealen Berglaufbedingungen an. Doch das Unheil der Schlechtwetterfront war bereits im Anmarsch.
Nach dem Start ging zunächst alles gut. Sichermann hatte sich einen Platz unter den ersten Fünf vorgenommen, zwischen
Kilometer 5 und 8 lag er sogar in Führung. Die Strecke erwies sich aber in Vergleich zu anderen Bergläufen als recht
gefährlich. „Bei den Europameisterschaften in Lenzerheide, wo es ebenfalls fast bis zur 3000m-Marke hinaufging, habe ich
mich viel sicherer gefühlt, aber an der Zugspitze lief die Angst mit“. Teilweise boten Halteseile Unterstüzung, doch plötzlich
löste sich einer der eigentlich Sicherheit versprechenden Haken. „Ich fand mich zunächst rücklings auf einer steil abfallenden
Wiese und anschließend auf Rang 4 wieder.“ Dann schlug das Wetter um. Regen setzte ein, der dann in Schneefall überging
und der Wind frischte zu Sturmstärke auf. Die Sicht wurde immer schlechter und bald war es für Sichermann klar: „Weiter als
bis zum SonnAlpin laufe ich nicht.“ Mit letzter Kraft erreichte er das rettende Haus. Die dort stationierte Bergwacht kümmerte
sich sofort um ihm. Eine halbe Stunde hatte er mit Schüttelfrostanfällen zu kämpfen, dann hatte sich der Körper wieder
erwärmt. Inzwischen spielten sich dramatische Szenen ab. Immer mehr erschöpfte Läufer kamen in Scharen, die schönen
Speisesäle verwandelten sich schnell in ein Feldlazarett. Paul Sichermann, in der Notaufnahme des Ansbacher tätig, wusste,
was zu tun war. Nur notdürftig bekleidet, unterstützte er die Helfer der Bergwacht bei der Erstversorgung. Auch ein
ausgebildeter Notarzt war unter den erschöpften Läufern, der sich nach seiner Erholung ebenfalls tatkräftig beteiligte, bis
dann weitere Notärzte und Sanitäter eintrafen. Doch das Rennen wurde immer noch nicht abgebrochen. Immer noch nahmen
Läufer den letzten, unwegsamen Kilometer in Angriff. Vier Rettungshubschrauber nahmen Kurs auf dem Gipfel, zwei mussten
unverrichteter Dinge umkehren, da der Schneesturm eine Landung unmöglich machte. Ärtzte, Sanitäter und Helfer kamen
dann mit der Seilbahn, die Helfer der Bergwacht suchten im unwegsamen Gelände nach erschöpften Läufern – für zwei kam die Hilfe zu spät.
Viel zu spät wurde das Rennen abgebrochen, erst als sich das SonnAlpin in ein Feldlazarett verwandelt hatte, entschlossen
sich die Veranstalter zu diesem Schritt. Die sportlichen Ergebnisse waren da nebensächlich. Paul Sichermann wird mit
seinen 1:56:13 Std. in der Wertung der SonnAlpin-Abbrecher als Sieger geführt, Willi Lechner (TSV Dinkelsbühl) bezwang in
3:36:11 Deutschlands höchsten Berg. “Ich war erstaunt, das das Rennen nicht, wie im Vorjahr bei viel besseren Bedingungen
, am Hotel Sonnalpin beendet wurde. Die Veranstalter handelten hier höchst verantwortungslos”, so Lechner.
“Die waren Helden des Rennens waren aber die Männer der Bergwacht“, so Sichermann. Sie trugen teilweise die Läufer ins
Gasthaus. In seiner siebzehnjährigen Tätigkeit am Ansbacher Klinikum, davor fünf Jahre in der Notaufnahme, hatte
Sichermann noch nie einen solchen Katastropheneinsatz erlebt. Über 3 Stunden dauerte es, dann konnte Sichermann die
Rückreise nach Garmisch antreten. In letzter Sekunde erreichte er seinen Zug und traf pünktlich in Ansbach ein. In der
Rezatstadt wuchs inzwischen die Unruhe: Die Nachricht von der Katastrophe am der Zugspitze machte die Runde und viele
Anrufer erkundigten sich bereits nach dem Befinden. Große Freude herrschte auch in der Notaufnahme des Ansbacher Klinikums, als Sichermann am Montag wohlbehalten wieder seinen Dienst aufnehmen konnte.
An Bergläufen wird der 43-jährige Meinhardswinder auch in Zukunft teilnehmen, doch sein Augenmerk wird darauf gerichtet
sein, ob die Veranstalter das Bestmögliche tun, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Zugspitze wird er und manch
anderer k´ünftig mit der Seilbahn bezwingen. Sein Fazit: „Die Veranstalter wurden ihrer Verantwortung gegenüber den
Teilnehmern nicht gerecht. Das Einzige, was ich dazugewonnen habe, sind neue Freunde; Menschen, die helfen, wenn andere in Not sind.“
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